Kommentar zum Urteil 3 Ns 501 Js 19696/02

Landgericht Giessen vom 22.07.2005

Die gute Nachricht: Die Struktur

Für deutsche Justizverhältnisse ist die Struktur dieses Dokuments ein wahrer Lichtblick: Das Urteil hat nämlich eine nachvollziehbarer Struktur. Die vorsitzende Richterin Brühe hat sich bemüht, "Gründe" ausnahmsweise aufzuteilen in Hintergrund, Soziale Verhältnisse der Angeklagten, Tatsachendarlegung, Schuldspruch sowie Strafzumessung. Es ist schade, dass sie mit der Nummerierung durcheinander gekommen ist: Abschnitt "II" erscheint nämlich zweimal..

Der Abschnitt "V"( Schuldspruch ) ist eine Art Massenkarambolage: Es ist teilweise nicht ohne mühsame Recherche klar, welchen Angeklagten Richterin Brühl für schuldig gefunden hat.

Das Urteil ist in der Datenbankansicht zu entnehmen.

Das Urteil

Die schlechte Nachricht: Formfehler

Die Deklaration auf Seite 3, "Gegen dieses Urteil haben beide Angeklagten rechtzeitig Berufung eingelegt mit dem Ziel freigesprochen zu werden" ist keine Basis für eine Berufung. Falls die Berufungsgründe wirkliche so dürftig waren, dann hätten Ziele für die Verhandlung angegeben werden. Es folgten danach 12 ziellose Verhandlungstage ohne dass das Gericht wusste, was es zu tun hatte.

Abb 1. Die Unterschiften von vors. Richterin Brühl sowie Schöffen fehlen.

Gemäß alten Traditionen deutscher Richter, die sich offensichtlich dafür zu schade fühlen, für das was sie geleistet haben auch eine Unterschrift abzugeben, ist das Urteil von Niemandem unterschrieben, weder von der Richterin Brühl noch von den Schöffen. Dies wurde ersetzt durch eine nicht unterschriebene Unterschriftsfeld für Richterin Brühl, keine für die Schöffen und eine Art Begläubigung ( vielleicht ) der Urkundenbeamtin, was selbstverständlich inakzeptabel ist. Hatten die Schöffen auch keine Kugelschreiber dabei, oder gab es Dissens, den man unter den Teppich kehren will ?

Es ist eine quintessentielle Merkmal eines gerechten Urteils, dass es auf vorgetragene Beweise basiert. In dem Urteil ist nirgends angegeben, woher die Tatsachendarlegung herkommt. Falls es von Richterin Brühe nicht frei erfunden wurde, dann gibt es vier mögliche Quellen dafür: Jeweils mündlich oder schriftlich von der ersten Instanz oder der Berufungsinstanz. Auf jeden Fall ist die Nachvollziehbarkeit der Beweisherkunft nicht gegeben. Aus diesem Grund scheidet das Urteil als ernst zu nehmendes Werk ganz aus. Wogegen soll man denn Rechtsmittel einlegen ?

Im Klartext, ist das Urteil nicht des Papieres Wert, worauf es geschrieben ist.

Die Rolle der Schöffen

Traditionsgemäß sitzen die Schöffen links und rechts außen wie Ornamente, sagen nichts und lassen sich von den sog. "Profis" überrumpeln. Die gefundenen Fehler sind aber kein Ergebnis ausgeklügelter rechtlicher Überlegungen, sondern reine administrative Patzer, was jeder hätte aufdecken können. Glauben die Schöffen denn, dass das Recht nur eine Spielwiese für Berufsjuristen ist ?

Schlussbemerkungen

Diese Bewertung behandelt nicht den rechtlichen Inhalt des Streites sondern nur die Formfehler. Formfehler verraten meistens den Geist hinter dem Urteil. Vor allem kann man sie nicht hinter einer Mauer pseudojuristscher Scheinargumentation verstecken.

Es gibt viel mehr Fehler in diesem Urteil, als der Autor dokumentiert hat. Es ist aber müßig diese zu bewerten, wenn das Urteil eine elementare Prüfung nicht bestanden hat - wie tot ist denn tot ? Die deutsche Justiz kann offensichtlich mit solcher Richterschlamperei gut leben, und der Autor ist gespannt, wie man sie gesund beten will. Vielleicht weiß man nichts besseres. Ein Vergleich mit der berühmten "Bananen Republik" ist aber nicht zutreffend: Viele der sog. "Bananen Republiken" haben inzwischen vorbildliche Justizsysteme.




Peter Briody

institut voigt